Aufruf zur Alternative, Hommage an J. Beuys

Aufruf zur Alternative,  Hommage J. Beuys, 25-teilig , 1998, Collage/Mischtechnik, je 60 x 85 cm

 

Grundlage war der Aufruf zur Alternative, eine lapidare Überschrift eines Textes, der ein Tag vor Weihnachten 1978 in der Frankfurter Rundschau erschien, vor beinahe 42 Jahren. Mein Verhältnis zu Beuys fing eigentlich damit an, dass ich 1977 die Documenta 6 in Kassel besuchte. Ich stand plötzlich vor seiner Honigpumpe, bzw. blickte hinab zu einem maschinenartigen Gebilde und ich war total fasziniert. Denn das Verstehen/Nichtverstehen dieser Arbeit war genau das was eine Grundvorraussetzung für moderne Kunst ist: sich öffnen für eine andere Perspektive. Bis dahin kannte ich keine Arbeit von ihm aber diese Arbeit überrumpelte mich förmlich. Ich wußte auf einmal wie wichtig Kunst sein kann und was für eine positive Magie es im Menschen entfachen kann.
Im Nachhinein kann ich sagen, dass 1977 es eine Art Erweckungserlebnis gewesen war und der Glaube an mein künstlerisches Wahrnehmen dadurch stetig wuchs.
Nach meinem Studium, ab 1987, lernte ich den Galeristen Wolfgang Püschel in Paderborn kennen, mit dem ich seither immer wieder lange Gespräche über die Kunst und vor allem über Beuys führte und führe. Er war umgeben von seinen Schriften, Lithografien und Objekten und gab mir dann 1998 den Auftrag, 25 Blätter seine als Seriegraphie aufgelegten Drucke, zu bearbeiten. Das Sehen/Empfinden und das Denken als Einheit von Kunst wurde damals in mir angestoßen und dafür steht für mich dieser grossartige Künstler, Joseph Beuys. Seine Denk- und Arbeitsweise ist heute aktueller denn je.

In einigen meiner Bildserien finden sich Inhalte aus dem Anspruch an politisch/ökonomischen und ökologischen Fragen unserer Zeit.

 

»Jeder Mensch sollte Künstler seyn. Alles kann zur schönen Kunst werden« 

Aus Novalis: Glauben, Liebe und Politische Aphorismen, 1798

 

 

Es existiert ein wunderbarer Text von Prof. Dr. Eugen Blume über den Aufruf, den ich als sehr lesenswert betrachte, gehalten anlässlich 30 Jahre „7000 Eichen“ Hörsaal der Kunsthochschule Kassel am 16.März 2012

Hier einige Auszüge aus dem Text:

Einem Aufruf eines Künstlers, nicht einer Erklärung oder einem Interview stellte 1978 eine große Tageszeitung eine ganze Seite zur Verfügung. Inmitten dieses Textes stand das Bildnis des Künstlers wie ein Siegel, das die Glaubwürdigkeit, die Authentizität, aber auch den Anspruch und das Ungewohnte der Gedanken bezeugte, die hier von einem Gelehrten im Sinne Kants mit dem dramatischen Mittel des Aufrufs vorgetragen wurden. Der Text war keine feuilletonistische Einlassung auf kulturpolitische Fragen, sondern eine Kampfansage an die herrschende Politik und eine allgemeine Aufforderung, sich mit den Vorschlägen handelnd auseinanderzusetzen. Der Text war eine Zusammenfassung all dessen, wofür Joseph Beuys seit seinem Erscheinen in der Öffentlichkeit stand: die Veränderung aller gesellschaftlichen Verhältnisse durch den als ultima ratio verstandenen Erweiterten Kunstbegriff. In dieser einen Zuspitzung auf die Kunst als die ultima ratio regum11, also das letzte Mittel der Könige, wobei Beuys unter Könige das Volk als Souverän verstand, unterschied sich der Aufruf grundlegend von allen anderen politischen Texten, aber auch von allen Manifesten der Kunst, wie wir sie seit der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts kennen.

Beuys hatte sich zunächst im Geiste Immanuel Kants die Freiheit genommen und „zwar die unschädlichste unter allem, was Freiheit heißen mag, nämlich die:  von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen.“3

Philosoph Roland Barthes: „Man kann sagen, daß sich die Medienzivilisation durch die (agressive) Ablehnung aller Zwischentöne definieren läßt.5

Die von Beuys in dem Aufruf genannte zentrale Forderung nach dem Funktionswandel und Entzauberung des Geldes beruhte auf nationalökonomische Erkenntnisse von Rudolf Steiner und deren Fortführung durch Wilhelm Schmundt, den Beuys 1973 in Achberg persönlich getroffen hatte.7
Die bisher folgenlos gebliebene Diskussion um das sogenannte Grundgehalt oder bedingungslose Grundeinkommen sind aktuelle Anschlüsse an die von Beuys und Schmundt allerdings viel grundsätzlicher geführte Debatte über die Veränderung des Geldkreislaufes.8

Eine Gesellschaft, die alles auch ihre Imponderabilien unter das Maß der Wirtschaft oder Gesetz der Kapitalrendite stellt, beraubt sich naturgemäß der Freiheit des Denkens, das nur in einem unbedingten geistigen Klima gedeihen kann. Schon 1968 hatte der französische Philosoph Jacques Lacan darauf hingewiesen, dass die neue Technokratie bestrebt war, das Wissen auf einen Gegenstand des Marktes zu reduzieren, also alle darüber hinausgehenden durch das kritische Denken hervorgebrachten Überlegungen und Argumente zu nivellieren und außerhalb der die Rendite fördernden Wachstumsmanie keinerlei Lebensziel für die gesamte Gesellschaft zu setzen.

Beuys hatte sich zu Beginn der 1980er Jahre entschlossen, nicht mehr im Museum auszustellen, weil er dieser Institution skeptisch gegenüber stand, was das Mitwirken an einem öffentlichen kritischen Denken anbelangte. Sein letzter Dokumenta-Beitrag unter dem Titel „7000 Eichen“, der 1982 realisiert wurde und 1984 durch die Pflanzung des letzten der 7000 Bäume seinen vorläufigen Abschluss fand, ist nicht nur ein sozialökologisches Werk, an dessen Verwirklichung eine Vielzahl von Menschen teilnahmen und noch immer teilnehmen, sondern ein programmatisches Sinnzeichen und zugleich Praxis des 1978 veröffentlichten Aufrufs zur Alternative. Die Pflanzaktion richtete sich gleichermaßen gegen die ökologische wie geistige Wüste, die sich in der Welt auf eine dramatische Weise ausbreitete.

„Die Verwüstung der Erde kann mit der Erzielung eines höchsten Lebensstandards des Menschen ebenso zusammengehen wie mit der Organisation eines gleichförmigen Glückszustandes aller Menschen. Die Verwüstung kann mit beiden das Selbe sein und auf unheimlichste Weise überall umgehen, nämlich dadurch, daß sie sich verbirgt. Die Verwüstung ist kein bloßes Versanden. Die Verwüstung ist die auf hohen Touren laufende Vertreibung der Mnemosyne.“26 Die Mnemosyne, von der hier Heidegger spricht, die Tochter von Himmel und Erde, ist bei den Alten Griechen die Mutter der Künste, wenn wir die Musen einmal in dieses moderne Wort übersetzen und sie ist es bis heute geblieben. Jede Kunst ist immer zugleich eine aus dem Denken kommende Gedächtniskunst, sie muss ein Andenken an den Ursprung sein.

3 Immanuel Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung, in: Immanuel Kant, Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik, Werke in zehn Bänden (Hrsg. Wilhelm Weischedel) Darmstadt 1971, Band 9, S. 55
5 Roland Barthes, Sitzung vom 27. Januar 1979, in: ders.: Die Vorbereitung des Romans. Vorlesung am Collége de France 1978-1980, Frankfurt/Main 2008, S.93. Zit.n.: Plínio Prado, Das Prinzip Universität, Zürich 210, S.47
7 vgl. Wilhelm Schmundt, Zeitgemäße Wirtschaftsgesetze, Achberg 1980 u. ders.: Zwei Grundprobleme des 20.Jahrhunderts, Wangen 1988.
8 vgl. Thomas Straubhaar (Hrsg.): Bedingungsloses Grundeinkommen und Solidarisches Bürgergeld – mehr als sozialutopische Konzepte. Hamburg University Press, Hamburg 2008
11 Das Motto „ultima ratio regum“ war im 17.Jahrhundert auf den Kanonenrohren des französischen Königs Ludwig XIII. zu lesen. Die Idee stammte von seinem Minister Kardinal Richelieu. Friedrich II. übernahm später dieses Motto und ließ es auf seine Kanonen allerdings in der Einzahl „ultima ratio regis“ einschreiben.
26 Martin Heidegger, Was heißt denken?,Stuttgart 1992, S.18

 

https://www.steiner-institut.eu/joseph-beuys-aufruf-zur-alternative-von-prof-dr-eugen-blume/

Autor: Prof. Dr. Eugen Blume war Leiter des Museums „Hamburger Bahnhof“